Musik in China

Musik in China ist häufig sehr eng an ihren historischen, sozialen und politischen Kontext gebunden. Propaganda-Stücke aus der Blütezeit des Kommunismus werden auch heute noch gespielt. Neben diesen lokalen, mitunter auch nationalen Ausprägungen hat sich aber längst eine globale Popszene etabliert.

„Musik“ und „Freude“ – die chinesische Sprache verwendet für diese beiden Begriffe dasselbe Schriftzeichen. Musik in China (wie auch unsere „westliche“ Musik) ist also nicht nur ein klangliches Phänomen, sondern eng an ihren historischen, sozialen und politischen Kontext gebunden. Was aber ist unter „chinesischer Musik“ zu verstehen? Musik von chinesischen Komponisten, auch wenn diese vielleicht gar nicht in China leben und eine Ausbildung in westeuropäischer Musik haben? Oder Musik, die in China geschrieben wurde? Was ist dann aber mit der Musik der muslimischen Minderheit oder mit der Musik von Immigranten? Musik, die in China gespielt und gehört wird – also auch die Sinfonien von Beethoven und die Songs von Madonna? Musik auf chinesischen Instrumenten, auch wenn es ein Wiener Walzer auf der chinesischen Kniegeige ist? Oder Musik in chinesischer Tonsprache? Kann man überhaupt von der einen chinesischen Tonsprache reden?

Da Musik in China mehr ist als nur die Summe verschiedener Tonsprachen, ist der folgende Beitrag dem musikalischen Leben in China gewidmet. Hierbei sollten wir zwei Grundannahmen im Hinterkopf behalten: 1) Musik ist meistens politisch und damit nur aus ihrer spezifischen sozialen Funktion heraus zu verstehen – sowohl in China als auch andernorts. 2) Musik ist stets flüchtig, im Wandel und im Austausch mit (vermeintlich) fremden musikalischen Traditionen. Im Falle der Musik aus China bedeutet dies einen Austausch sowohl zwischen höfischen und „hohen“ mit volkstümlichen und als niedrig wahrgenommen musikalischen Formen, aber auch zwischen als chinesisch und als nicht-chinesisch empfundenen musikalischen Traditionen.

Musik im traditionellen China

Es ist überliefert, dass Musik seit ihrem Ursprung in China eine wichtige Rolle gespielt hat, über den Klang der frühen Musik allerdings ist nur wenig bekannt. Schon damals wurde ein enger Zusammenhang zwischen Kunst und Politik gesehen: Es herrschte die Überzeugung, dass die „richtige“ (also gute) Kunst ein effizientes Herrschaftsinstrument sein kann. So beschreibt der konfuzianische Philosoph Xunzi (ca. 298 bis 238 v.Chr.) Musik als das „sinnvollste Regierungsinstrument“, mit dem die legendären Könige Harmonie in der Gesellschaft schufen: „Die Musik bewegt die Menschen tief in ihrem Inneren und verändert sie rasch. Umsichtig gaben ihr die legendären Könige eine eigene, angemessene Form. Solange die Musik das Extrem meidet, lebt das Volk zufrieden und ohne vom rechten Wege abzukommen. Solange die Musik gesetzt ist, ist das Volk ausgeglichen und nicht aufständisch. Solange das Volk friedlich und ausgeglichen ist, sind die Truppen stark, die Stadtmauern stehen fest, und die Feinde [werden] es nicht wagen anzugreifen.“ Musik ist hier Teil ritueller Handlungen, die beide der Erziehung und Regierung des Volkes dienen. Gleichzeitig ist die Musik damit eng an kosmische Vorstellungen geknüpft. Diese konfuzianische Auffassung von Musik sollte die nächsten Jahrhunderte prägen.

Klanglich herrschte im vormodernen China große Vielfalt – zugleich gab es große Unterschiede zu den europäischen Musiktraditionen: Tonalität, die verwendeten Instrumente und die musikalischen Formen sind ausschlaggebend hierfür.

Tonalität: Die zwölf Halbtöne der Oktave waren in China schon vor der Zeitenwende bekannt, die chinesische Musik ist dennoch größtenteils pentatonisch aufgebaut. Ein unterschiedliches Klangbild gegenüber der europäischen Musik entsteht durch die unterschiedlichen Funktionen einzelner Intervalle: Während in Europa – vereinfacht gesagt – große oder kleine Terzen das Klangbild prägen, sind es in China die Quarten und Quinten. Hieraus ergeben sich die fünf Modi „gong“, „shang“, „jiao“, „zhi“ und „yu“. Zum Teil sind diese pentatonischen Skalen um die in unseren Ohren „fehlenden“ Töne zu einer siebenstufigen Tonskala erweitert, sodass sie auf den ersten Blick den kirchlichen Tonarten ähneln. Eine Gleichsetzung dieser Tonsysteme wäre aber irreführend, da die Funktionen der Intervalle sich unterscheiden – und damit auch die Melodiegestaltung.

Instrumente: Chinesische Musik wird auf einer Vielzahl von Schlag-, Blas-, und Saiteninstrumenten gespielt, von denen hier nur ein Ausschnitt der Saiteninstrumente wiedergegeben werden kann. Diese Instrumente verdeutlichen, wie stark auch das vormoderne musikalische Leben vom Austausch mit Nachbarvölkern lebte. So kam die bis heute beliebte viersaitige Laute Pipa (ein Solo- und Ensemble-Instrument) aus Mittelasien oder Indien nach China. Die zweisaitige Kniegeige Erhu (das bekannteste Instrument aus der Familie der Streichinstrumente) hat wohl persische Ursprünge und ist vor 1.000 Jahren nach China gelangt. Nahe Verwandte sind die Gaohu und die in der Peking-Oper verwendete Jinghu. Sowohl Pipa als auch die Erhu (wie auch zahlreiche andere Instrumente) wurden über die Jahrhunderte stets weiterentwickelt – die letzten großen Reformen fanden im frühen 20. Jahrhundert statt, als Reformer wie Liu Tianhua (1895 bis 1932) sich darum bemühten, die Stimmung der Instrumente so zu verändern, dass sie kompatibel mit westlichen Instrumenten wurden und seither in Begleitung eines Sinfonieorchesters gespielt werden können. Auch reformierte Liu die Spieltechniken der Erhu in Anlehnung an diejenigen der Violine. Das wohl „chinesische“ Instrument schlechthin ist die Guqin („altes Instrument“) oder auch nur Qin. Diese siebensaitige Wölbbrettzither gibt es bereits seit mehr als 2.000 Jahren. Sie erfreute sich zunächst an den Höfen großer Beliebtheit, und ein Repertoire an Kunstmusik entstand. Im Laufe der Zeit entwickelte sie sich mit ihrer ausgefeilten Technik und ihrer symbolhaften Klangsprache zu dem Instrument der chinesischen Gelehrten – daher werden diese auf chinesischen Gemälden oft mit dem Instrument abgebildet. Heute gibt es nur noch eine kleine Zahl von Musikern, die das Instrument spielen und die vor allem in der Lage sind, die komplizierte Notenschrift des Qin-Repertoires zu „lesen“. Eine Verwandte der Qin ist die Zheng (oder Guzheng), die früher 13 bis 16, heute in der Regel 21 bis 25 Saiten umfasst. Dieses Instrument ist aufgrund seines vergleichsweise großen Klangvolumens sowohl in der Ensemblemusik als auch als Soloinstrument beliebt. Die Guzheng gelangte im achten Jahrhundert als Instrument der Hofmusik nach Japan und ist dort unter dem Namen Koto bekannt. Wie sich an diesen exemplarischen Instrumenten zeigen lässt, fanden Austauschbewegungen also nach China und auch aus China hinaus statt.

Musikformen: Die musikalischen Formen lassen sich nach Besetzung, aber auch nach Anlässen unterscheiden. So umfasst die traditionelle chinesische Musik Stücke für Solo und Ensemble. Neben Volksliedern gab es rituelle und religiöse Musik (neben der „staatstragenden“ konfuzianischen auch Musik aus daoistischen oder buddhistischen Klöstern, die z.B. bei Beerdigungen und Hochzeiten gespielt wurde und wird), Straßenmusik in der Regel von blinden Erhu-Spielern, aber auch gänzlich funktionale Musik wie die Erkennungslieder von Scherenschleifern und anderen fahrenden Händlern, die so über die Mauern der Anwesen hinweg auf ihre Dienste aufmerksam machen konnten.

Darüber hinaus existierte (und existiert) eine Vielzahl regional unterschiedlicher Formen des Musiktheaters – bei uns oftmals unter den Begriffen „chinesische Oper“ oder „Peking-Oper“ bekannt. Das chinesische Theater ist schon früh von Musik geprägt gewesen. Hier haben sich Musik, Literatur, Tanz, Darstellung sowie in einigen Formen auch Akrobatik gleichermaßen entwickelt und zu einem Bühnengeschehen vereinigt. Die Peking-Oper (Jingju) entstand im Laufe des 18. Jahrhunderts und erlebte ihre Blüte im 19. Jahrhundert, als verschiedene Operntruppen aus Anhui und Hubei am Kaiserhof in Peking auftraten und in gemeinsamen Aufführungen aus ihren unterschiedlichen Operntraditionen eine gemeinsame Form entwickelten. Die Peking-Oper ist gekennzeichnet durch vier Charakter-Typen, die an ihren aufwändigen Kostümen und z.T. ihren geschminkten Gesichtern erkennbar sind: die männlichen Sheng-Rollen, die weiblichen Dan, die geschminkten männlichen Jing sowie die Chou-Clown-Rollen. Aufführungen der Peking-Oper (wie auch anderer Lokal-Opern) können sich über mehrere Tage hinziehen. Da Frauen im 18. und 19. Jahrhundert das Auftreten verboten war, wurden weibliche Rollen traditionell von Männern gespielt – große Berühmtheit erlangte Mei Lanfang, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts seinen eigenen Stil prägte und auf einer Amerika-Reise mit seiner Darstellung sogar den US-Schauspieler Charlie Chaplin beeindruckte.

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