Blass, blässer – China. Facekini – der Bademodentrend im Reich der Mitte.

Eine blasse Haut gilt in Asien als Statussymbol. Bleichmittel ist dort ein Trend. An den Stränden bietet sich oft ein bizarres Bild: Frauen im Bikini verhüllen ihre Gesichter mit einem Facekini.

Ein Banküberfall !!!!. Das ist der erste Gedanke, der einem durch den Kopf schießt, wenn man diese beiden mittelalten Damen sieht, die sich am Strand von Shanghai bespritzen. Sie sind nur leicht bekleidet, doch ihr Kopf verschwindet unter einer Maske, wie man sie trägt, wenn man einen Überfall plant oder aus anderen Gründen nicht erkannt werden möchte.

Es ist ein bizarres Bild, sogar hier, in dieser chinesischen Megalopolis mit ihren 18 Millionen Einwohnern, wo man an jeder Ecke Menschen trifft, die aussehen, als seien sie auf dem Weg zum Karneval oder zum Casting für einen Science-Fiction-Film. Bleischwer drückt die feuchte Hitze auf die Stadt, doch auf den Straßen begegnet man Mopedfahrern mit Darth-Vader-Maske oder Teenagern mit Skibrille. Ohne Panamahut oder Sonnenschirm geht hier fast keiner vor die Tür.

Der Gummistrumpf ist ein Gesichtsbikini

Die Damen mit den Masken in den Bonbonfarben Fanta-Gelb und Hello-Kitty-Pink fallen jedoch sogar hier auf, denn wo, wenn nicht an einem Strand, würde man sonst die Hüllen fallen lassen? Andere Badegäste stoßen sich bei ihrem Anblick gegenseitig an und kichern, kleine Kinder weichen unwillkürlich ein Stück zurück. Wer weiß , ob es sich bei den Damen nicht doch um Außerirdische handelt?

Zhang Shifan, 58, lacht, wenn man sie darauf anspricht. Sie steht in ihrem Bademodengeschäft im Osten von Shanghai, eine burschikose Frau, das Gesicht sonnengebräunt. Die Kopfbedeckungen sind ihre Erfindung, bis vor Kurzem hat sie die Nylonmasken noch auf der eigenen Nähmaschine genäht.

Facekini, so haben die Chinesen diesen Gummistrumpf genannt. Gesichtsbikini. Es gibt ihn nur in einer Einheitsgröße, für 17,50 Yuan das Stück, das sind 2,50 Euro. Man muss ihn ein bisschen in Form ziehen, damit die Schlitze für Augen, Mund und Nasenlöcher genau dort sitzen, wo sie sitzen sollen.

Der Facekini wird zum Running Gag

„Die in Orange laufen am besten“, sagt Shifan. Die würden Quallen abschrecken. Vor denen müssten Kinder keine Angst haben. Sie lächelt verschmitzt. Die Frau versteht es, ihr Patent zu vermarkten.

Bis zu 50.000 Exemplare verkauft sie inzwischen pro Jahr. Das ist nicht viel, gemessen an den 1,33 Milliarden Menschen, die in China leben. Doch seit auch europäische Medien über den Facekini berichtet haben, ist dieses Accessoire plötzlich zu einem Running Gag in den sozialen Netzwerken geworden.

Auf Weibo, dem chinesischen Twitter, kursieren Fotos, die das Accessoire auf dem Kopf von mittelalten Frauen zeigen, die schon lange zu alt sind, um sich für Misswahlen zu qualifizieren. Ihre Körper stecken in Neoprenanzügen, in groß geblümten Badeanzügen oder in Schwimmkleidern im Leoparden-Look. Das I-Tüpfelchen aber ist der Facekini. Eines der skurrilsten Fotos zeigt eine Frau, die über den Augenschlitzen noch eine Schwimmbrille trägt.

Entsprechend ironisch fallen die Kommentare aus. Jetzt könne der Verpackungskünstler Christo einpacken, ätzt einer. Gegen die ebenso geschmackvolle wie praktische Bademode aus Shanghai habe seine Kunst keine Chance. Ein anderer schreibt, der Facekini sei ein Muss für alle, die beim FKK unerkannt bleiben wollten.

Ein Shitstorm als PR-Offensive

An Zhang Shifan perlt die Kritik ab. Ein Shitstorm als PR-Offensive, etwas Besseres hätte ihr kaum passieren können. Sie sagt: „Es ist ja für eine gute Sache.“ Ein Beitrag zur Hautkrebsvorsorge, würde man als Europäerin denken. Doch es geht mehr um den Teint. Blass musste der bislang sein, leichenblass. So sieht es ein jahrhundertealtes Schönheitsideal vor, wie es in Europa zuletzt von weiß gepuderten Baronessen im Rokoko kultiviert wurde.

Aber warum hat es sich in China so lange gehalten? Fragen wir eine chinesische Normalverbraucherin, Amy Zhou, 36, Englisch-Lehrerin in Shanghai, verheiratet, ein Kind, dezentes Make-up im Gesicht. „Braun sind nur die Frauen vom Land, die auf den Feldern arbeiten müssen“, sagt Zhou.

Einen Facekini besitzt sie nicht. Und es käme ihr auch nie in den Sinn, ihren Teint mit Bleichmitteln aus der Tube oder Spritze wieder aufhellen zu lassen und dafür bis zu 2000 Dollar auf den Tisch zu blättern. Ein Trend, der weiter verbreitet ist, als man denkt. Marktforschungsinstitute schätzen, dass diese Mittel 60 Prozent des Umsatzes von Gesichtspflegeprodukten in China ausmachen.

Natürliche Bräune gilt in Europa als Luxus

Um Schönheit geht es dabei nur auf den ersten Blick. Eine blasse Haut gilt in Asien als Statussymbol. „Je blasser die Haut, desto bessere Chancen hast du auf dem Heiratsmarkt“, sagt Zhou. Sie lächelt verlegen. In ihrer Handtasche hat sie stets einen Knirps-Schirm dabei. Als Sonnenschutz.

Als Deutsche kann man das kaum nachvollziehen. Eine natürliche Bräune gilt in Europa als Luxus, ein Privileg von Leuten, die es sich leisten können, dorthin zu fliegen, wo die Sonne an 365 Tagen im Jahr scheint.

China gehört nicht gerade dazu. Im Sommer ist es hier so heiß, dass man es nur in klimatisierten Räumen aushält. Auch der Smog steht einem Sonnenbad im Wege. Die Belastung durch Feinstaub ist so hoch, dass viele Chinesen nur mit Atemschutz vor die Tür gehen.

Selbstbräuner für einen dunkleren Teint

Doch auch in China fängt das Ideal der Schneewittchenblässe an zu bröckel. Die Rebellion begann im Nachbarland Japan, genauer: in Tokio. Ganguros nennen sich zumeist jugendliche Mädchen, die sich die Haare blond färben und Selbstbräuner oder Beta-Carotin-Tabletten nehmen für einen dunkleren Teint. Dieser Trend ist auch nach China geschwappt.

Erst im Juni brach die chinesische Ausgabe der „Vogue“ eine Lanze für Sonnenanbeter, als es gebräunte Models mit UV-Lichtbrillen ablichtete. „Sun Joy“, so nannte das renommierte Modemagazin dieses Bekenntnis zur Ibiza-Bräune aus der Steckdose. Bei den Leserinnen ist der Trend schon angekommen.

In Peking und Shanghai haben die ersten Sonnenstudios eröffnet. Einer der Pioniere ist der Hersteller KBL aus dem rheinland-pfälzischen Dernbach. Megasun heißt seine Antwort auf Chinas Schneewittchenteint, die Wunschbräune per Knopfdruck.

Frauen als Witzfiguren

Inzwischen sind 40 Prozent unserer Kunden Einheimische„, sagt Studiobetreiber Nick Lo. Anfangs seien es nur Chinesen gewesen, die schon mal im Ausland studiert oder gearbeitet hatten. Inzwischen kämen jedoch auch andere – wenn auch bislang nur junge Frauen. „Das ist ein großer Schritt für die Sonnenstudiobranche in China“, sagt Lo.

Der Anfang vom Ende des Facekinis? Zhang Shifan gibt sich gelassen. Ihre Gesichtsbikinis werden jetzt industriell gefertigt, neuerdings auch nach einem berühmten Vorbild: Die neuen Gesichtsbikinis orientieren sich an den symbolträchtigen Masken der Peking-Oper.

Die farbenfroheren Exemplare sollen Kindern die Angst nehmen, sagt Shifan. Dass die Frauen damit erst recht wie Witzfiguren aussehen und am Pranger landen, nimmt sie in Kauf. Der Spott im Internet hat die Dinger schließlich erst berühmt gemacht.

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