Konfuzius vs. Kant – Ethik, Moral und Weltwirtschaft

 

Kant’s ethischer Formalismus und Konfuzius’ Ethik im Lunyu.
Pflichtgemäße Handlungen und hypothetische Imperative.
Handeln aus Pflicht – der kategorische Imperativ.
Li – die Sittlichkeit und Ren – die Menschlichkeit.

Globalisierung bedeutet mehr als bloße Internationalisierung der Wirtschaft. Der Begriff Globalisierung enthält zudem kulturelle, ethische und soziale Aspekte.

Wie konstruktiv sich die Beziehungen zwischen den Initiatoren der Globalisierung, den Industriestaaten Westeuropas und Nordamerikas, und den Ländern der sogenannten zweiten und dritten Welt entwickeln werden, kann wohl kaum aus wirtschaftlichem Kosten-Nutzen Kalkül abgeleitet werden.

Hemmungsloser Kapitalexport im 19. Jahrhundert hat eher zu Misstrauen als zu politischer und kultureller Verständigung geführt. Durch bloße ökonomische Kooperation können Vorurteile daher nicht abgebaut werden.

Dies kann nur auf kultureller Ebene geschehen. Es kommt zudem darauf an, ob sich neue Denkmuster in der politischen Realität durchsetzen. Voraussetzung einer solchen (politisch-kulturellen) Verständigung ist die Grundlage der Handlungen seines Gegenübers zu verstehen, denn die Bewertung derselben anhand eigener Wertvorstellungen und Kriterien führt eher zu Fehlwahrnehmungen als eine Verständigung zu fördern.

Grundlage heisst „die sittlichen Anschauungen und Normen, von denen sich die Menschen in ihrem praktischen-sittlichen Verhalten leiten lassen“, sprich die Moral. Die (im jeweiligen Gemeinwesen vorherrschende) Moralvorstellung ist ein Schlüsselmoment zur Erklärung menschlichen Handelns in allen Kontexten dar. Dies gilt insbesondere für die „individuellen politischen Orientierungen und Verhaltensweisen in einem Kollektiv“, also für die „politische Kultur“ eines Gemeinwesens, wie auch für konkrete politische Verhältnisse (bzw. Systeme), die auch moralischen Kriterien genügen müssen.

Von dieser Prämisse ausgehend hängt die zukünftige Entwicklung der Beziehung zwischen beiden Seiten nicht zuletzt vom Vorhandensein von Übereinstimmungen in den jeweiligen Moralvorstellungen ab, also von Gemeinsamkeiten die elementarer sind als die wahrnehmbaren habituellen Unterschiede und die Verschiedenheit der politischen Strukturen. Dies gilt es zu überprüfen.

Kriterien sind zu gewinnen, anhand derer man Moralvorstellungen grundlegend von einander unterscheiden kann. Die Ursprünge heutiger Moralvorstellungen sind die Klassikerwerke der Ethik :

die Moralphilosophie Immanuel Kant`s, wie er sie in seiner „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“ entwirft, und die des Konfuzius, wie sie aus dem Kontext des „Lunyu (Konfuzius Gespräche)“ zu erschließen ist.

Die leitende Fragestellung lautet folglich:

Sind die konfuzianische und kantsche Ethik so unterschiedlich, das eine politische und kulturelle Verständigung zwischen „China und dem Westen“ schwer bzw. sogar unmöglich ist?

Zunächst sollen grundlegende Begriffe eingeführt werden. Begriffe, die zur anschließenden Beschreibung der beiden Moralphilosophien herangezogen werden. Im Anschluss sollen die grundlegenden Unterschiede und Gemeinsamkeiten, sofern es sie gibt, angesprochen und mögliche Probleme und Chancen für eine Verständigung dargestellt werden, um abschließend eine Antwort auf die Frage geben zu können.

Klärung wichtiger Begriffe

Die Definition der Ethik, als „Wissenschaft vom Sittlichen, jener Teil der Philosophie, der das moralische Bewusstsein und Verhalten der Menschen zum Gegenstand hat“, enthält selbst schon die Unterscheidung, die als Kriterium zur Beschreibung und Unterscheidung verschiedener Moralphilosophien geeignet ist

Hier werden moralisches Bewusstsein und Verhalten als zwei von einander unterschiedene Gegenstände der Ethik dargestellt. Es gilt herauszufinden, welche Seite in der jeweiligen Ethik stärker betont wird, das „gute Verhalten“ oder die „gute Gesinnung“.

Begrifflich möchte ich auf eine Unterscheidung zurückgreifen, die Hegel in seinen „Grundlinien der Philosophie des Rechts“ macht.

Er unterscheidet zwischen dem Sittlichen und der Moralität. Das Sittliche bedeutet für Hegel „die Tugend, (…) die Rechtschaffenheit ist.“(§ 150) „Was der Mensch tun müsse, (…) um tugendhaft zu sein, ist in einem sittlichen Gemeinwesen leicht zu sagen, – es ist nichts anderes von ihm zu tun, als was ihm in seinen Verhältnissen vorgezeichnet, ausgesprochen und bekannt ist“ . Moralität hingegen ist für Hegel ein Synonym für das Gewissen. „Gewissen drückt die absolute Berechtigung des subjektiven Selbstbewusstseins aus, nämlich in sich und aus sich selbst zu wissen, was Recht und Pflicht ist, und nichts anzuerkennen, als was es so als das Gute weiß.“ (§ 137)

Die Ethik beschäftigt sich mit dem reflektierten subjektiven Bestandteil (Moralität) und dem zunächst vom Subjekt unhinterfragten, durch gesellschaftliche Verhältnisse determinierte, objektiven Ursprung (Sittlichkeit ) von Moralvorstellungen. Sie reflektiert somit einen Subjekt-Objekt-Gegensatz, den von Individuum und Gesellschaft, also auch das Spannungsverhältnis von Autonomie und Anpassung. Deswegen scheint sie mir zur Erklärung politischer und kultureller Phänomene äußerst nutzbar zu sein.

Der Gegensatz von Sittlichkeit und Moralität deckt sich in vielem mit dem Gegensatz von der konventionellen und postkonventionellen Ebene des moralischen Bewusstseins, den Kohlberg in seiner „Entwicklungslogik des moralischen Bewusstseins“ konstatiert.

Man sollte daher von konventioneller Sittlichkeit und postkonventioneller Moralität sprechen.

Warum dies beiden Philosophen

Die Auswahl Kants und Konfuzius’ zur Illustration der Perspektive der internationalen Beziehungen, die es im Gefolge der Globalisierung und des Endes des kalten Krieges zu überdenken und zu gestalten gilt, ist freilich nicht willkürlich.

Das Heranziehen der beiden liegt in der Aktualität und des (ethnisch und geographisch) breiten Einflusses der beiden Philosophen begründet.

„Wenn die chinesische Kultur als eine der wenigen Kulturen der Antike überhaupt überlebte, dann im Zeichen des Konfuzianismus.“ Diese These unterstreicht eindruckvoll die Aktualität der konfuzianischen Lehre.

Konfuzius’ Lehre ist zwar nicht mit dem späteren Konfuzianismus identisch, ist aber sein Ausgangspunkt und konstitutives Element des chinesischen Denkens überhaupt. Der Unterschied zwischen Konfuzius’ und konfuzianistischer Lehre verschwimmt ohnehin im Lunyu, da es kein von ihm verfasster Text ist, sondern (womöglich) seine endgültige Fassung erst durch Zheng Xuan im 2. Jahrhundert unserer Zeit erhielt,  also rund 700 Jahre nach seinem Tod.

Es gibt nicht nur die geistige Wirkungsgeschichte des Konfuzius, sondern auch eine politisch-soziale. Eine bestimmte Art sozialer Beziehungen (bzw. Ordnung) und des gesellschaftlichen Umgangs wird mit seinem Namen gekennzeichnet. Dies wird bei Lucian Pye deutlich, der die heutige politische Kultur Chinas als „Confucian Leninism“ bezeichnet.

Darüber hinaus ist der Einfluss Konfuzius’ nicht auf China beschränkt, sondern erstreckt sich auf weitere asiatische Länder wie die beiden Koreas, Taiwan und Singapur.

Ähnliches gilt für Immanuel Kant. Kant gilt als „Begründer einer neuen Philosophie“, der Transzendentalphilosophie. Die von ihm bewirkte „Umänderung des Denkens, ist mit der Revolutionierung des astronomischen Weltbildes in der frühen Neuzeit vergleichbar.“

Das Gedankengut der europäischen Aufklärungsepoche im allgemeinen und Kants 3. Fassung des kategorischen Imperativs im speziellen ist „geradezu zum Leitgedanken geworden für den Versuch freiheitlicher Verfassungsstaaten, der Politik durch vorstaatliche Menschenrechte wirksam Grenzen zu setzen..“

Immanuel Kants Philosophie ist somit auch von politisch-kultureller Relevanz. Es ist nicht wohl überrieben zu behaupten, dass auch Kants Moralphilosophie die Grundlage für politische Strukturen und Kulturen der westlichen („demokratischen“) Industriestaaten bildet.

Das bisher gesagte erhellt, dass, zwar unter Inkaufnahme von Vereinfachungen, der Vergleichs der kantschen und konfuzianischen Moralphilosophie für die Verständigung zwischen China (bzw. Ostasiens) und dem Westen von Nutzen sein kann, da sich aus ihnen m.E. die Grundlinien der politischen Strukturen und Kulturen derselben ableiten lassen und somit auch ihre Unterschiedlichkeit Ursache für eine zu radikale Fremdwahrnehmung und gegenseitiger Vorurteile ist.

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