Zeng Fanzhi – der chinesische Maler ist berühmt wie Koons und Richter.

Er zählt weltweit zum drittbeliebtesten Künstler gleich hinter Gerhard Richter und Jeff Koons. Dennoch weiss kaum einer im deutschsprachigen Raum etwas über diesen medienscheuen chinesischen Maler.
Seit Oktober 2013 gilt er als der teuerste lebende asiatische Künstler auf dem internationalen Auktionsmarkt. Sein monumentales Gemälde «The Last Supper» wurde bei Sotheby’s Hongkong für 23,3 Millionen US-Dollar versteigert. Laut einer im März 2015 von «Artnet» veröffentlichten Rangliste ist er weltweit der dritt-beliebteste Künstler unter Käufern von Gegenwartskunst, gleich hinter Gerhard Richter und Jeff Koons. Die Rede ist vom chinesischen Künstler Zeng Fanzhi. Obwohl er von Larry Gagosian vertreten wird und letztes Jahr vier Bilder im Louvre neben Delacroix ausstellen durfte, weiss kaum einer im deutschsprachigen Raum etwas über diesen medienscheuen Künstler.

Anspruch auf technische Vollendung

Die Begegnung mit Zeng Fanzhi ist von unerwarteter Warmherzigkeit geprägt. Sein Atelier, gelegen im etablierten Kunstviertel Caochangdi etwas ausserhalb Pekings, wirkt wie aus der Zeit gefallen. Die lichtdurchfluteten Arbeitsräume sind bestückt mit seinen eigenen grossformatigen Bildern. Darum gruppieren sich dunkle Ledersessel, eine Sammlung antiker Sitzbänke, Buddhastatuen, Kraniche und Zeichnungen von Egon Schiele. Der Duft von Räucherwerk mischt sich mit dem Rauch edler Zigarren. Im Hintergrund erklingen die Wiener Symphoniker. Jenseits der hohen Fenster lässt die warme Frühlingssonne im Garten die blühenden Magnolienbäume neben dem Karpfenteich erstrahlen.

Zeng verbringt viel Zeit an diesem Ort. «Ich bin jeden Tag ab 7 Uhr morgens hier, auch samstags und sonntags. Dann besuchen mich meine Frau und meine Tochter und tanzen vor dem grossen Spiegel Ballett», sagt er mit einem Schmunzeln. Er spricht bedacht und ohne Hast. Der Mix aus Dingen, mit denen sich Zeng umgibt, zeugt nicht gerade von Stilsicherheit und ist dennoch erlesen und auf eigentümliche Art stimmig; eine zusammengepuzzelte kulturelle Oase inmitten der anstrengenden Hauptstadt.

Auch die Musik, die für seinen Schaffensprozess unabdingbar ist, wählt Zeng intuitiv und unbedarft. Westliche Klassik, chinesische traditionelle Musik, Pekingopern, Kirchenmusik und Choräle untermalen im doppelten Wortsinn seine Arbeit.

«Ich stehe ohne Konzept vor der leeren Leinwand. Je nach Gemütsverfassung verleitet mich die Musik dazu, zum Orange zu greifen.

Die nächste Symphonie wiederum zwingt mich zum kräftigen Violett. Wenn ich dann einen Kirchenchor singen höre, wird der Hintergrund dunkelblau.» Körper und Geist reagieren auf Musik wie Seismografen. Fast scheint es, als ob die Musik seine Hände führen würde. Doch reine Intuition ist für ihn zu wenig ohne vollendete Handwerkskunst. «Ich habe über zehn Jahre lang unermüdlich geübt, um meine Technik zu perfektionieren.» Zeng illustriert seinen Anspruch an technische Vollendung mit einer Metapher des taoistischen Philosophen Zhuangzi: Dieser pries den Metzger Baoding, dessen Hände so virtuos das Messer führten, dass der Ochse, seine eigene Schlachtung nicht bemerkend, gemächlich weiterkaute.

Zeng Fanzhi wurde 1964 in Wuhan, Provinz Hubei, geboren. Nach dem Studium der klassischen Ölmalerei zog er mit 29 Jahren nach Peking, wo er zunächst unter der Anonymität und Einsamkeit der Grossstadt litt. In dieser Zeit jedoch entstand eine Bilderreihe, die ihm zum Durchbruch verhelfen sollte: die sogenannte Maskenserie.

Rekordpreise irritieren

«The Last Supper» stammt aus dieser Phase und wurde 2001 gemalt. Zeng hat das Abendmahl Leonardo da Vincis in ein geselliges Beisammensein von weiss maskierten Studenten verwandelt. Anstatt Brot und Wein wird Wassermelone geteilt – ein beliebtes Motiv bei Zeng. Für ihn stecken in der aufgebrochenen Wassermelone gleichermassen Gewalt und Verheissung. Elf Schüler tragen Schuluniformen und rote Halstücher, nur einer trägt eine gelb-goldene Krawatte. In der Position des Verräters hebt sich dieser Schüler-Judas durch sein westliches Accessoire aus der chinesischen Masse heraus.

Kunstkritiker meinen in diesem Judas einen Reformer und Unruhestifter zu sehen. Der Künstler habe hier den Moment der Öffnung und der Modernisierung Chinas Anfang der neunziger Jahre dargestellt, behauptet Evelyn Lin, Leiterin der Abteilung für asiatische Gegenwartskunst von Sotheby’s. Steckt in dieser Mehrdeutigkeit vielleicht der Grund, warum das Gemälde so heiss begehrt ist?

Am 5. Oktober 2013 war es das Highlight auf der Vierzig-Jahre-Jubiläums-Auktion von Sotheby’s in Hongkong. Eingereicht vom belgischen Sammlerehepaar Guy und Myriam Ullens, die als passionierte Käufer – und Wiederverkäufer – von chinesischer Gegenwartskunst gelten, wurde das Bild auf 10 Millionen US-Dollar taxiert. Nach einer fünfzehnminütigen Bieterschlacht zwischen fünf Interessenten ging das Werk schliesslich für über 23 Millionen an einen Telefonbieter.

Zeng hat diesen Tag mit grossem Befremden erlebt. «Über 23 Millionen . . . Total verrückt, viel zu hoch», erinnert er sich kopfschüttelnd. Schliesslich bekomme ja nicht einmal er das Geld, wie so viele denken, sondern das Ehepaar Ullens, gibt Zeng noch zu bedenken.

Wer der neue Besitzer ist, wird von Sotheby’s nicht preisgegeben. Auch er kenne den Namen nicht, behauptet Zeng. Was die Beteiligten damals viel mehr interessierte, war die Frage, ob der Käufer auch tatsächlich zahle. Wie die Erfahrung der letzten Jahre zeigt, kommt es auf chinesischen Auktionen häufig vor, dass heftig mitgeboten wird und am Ende der Käufer die Zahlung einfach verweigert. Das Werk ist dann für Jahre unverkäuflich. Dieses Schreckensszenario blieb im Falle des «Abendmahls» allen erspart, der Käufer zahlte die besagte Summe bereits nach einer Woche.

Über Nacht war Zeng weltberühmt. Freunde, Bekannte und Journalisten bestürmten ihn. Ihm war so viel Aufmerksamkeit um seine Person unangenehm. «Alles, was ich will, ist, in Ruhe in meinem Atelier zu malen.» Er befürchtet sogar, dass ihm der hohe Auktionspreis zum Nachteil gereichen könne, da alle folgenden Arbeiten an diesem Preis gemessen würden.

Neue Landschaften der Seele

Es kursieren Gerüchte, sein Galerist Larry Gagosian stecke hinter dem anonymen Käufer. Er wolle damit den Marktpreis von Zeng hochtreiben. Zeng wischt diese Behauptung mit einer Handbewegung weg. Die Preise in den Galerien seien nicht gestiegen, seine Galerie habe keinen Vorteil daraus schlagen können. Im Gegenteil, nun müsse sein Galerist bei der Auswahl der Käufer noch sorgfältiger vorgehen, um Spekulanten auszuschliessen. Wie hoch die Preise seiner neuesten Bilder sind, möchten weder er noch seine Galerie verraten. Auf seinen neuesten Arbeiten finden sich kaum noch Personen. Es sind unwirtliche, seltsam leuchtende Seelenlandschaften hinter undurchdringlichem Gestrüpp im Vordergrund, die an Landschaften von Anselm Kiefer erinnern.

Auf anderen Arbeiten entdeckt man hinter dem Gestrüpp Zitate der westlichen Kunstgeschichte, wie etwa den Mond von C. D. Friedrich, Delacroix‘ «Freiheit» oder Dürers Feldhasen. Entgegen wiederholten Plagiat-Vorwürfen versteht Zeng diese Adaptionen nicht als plumpe Kopien. Für ihn steckt in der Aneignung solcher Motive die Suche nach dem eigenen Selbst. «Was und wie viel von mir steckt da drin?»

Engagierter Sammler

Von dem Geld, das er mit seinen Gemälden verdient, kauft er Kunst. Zeng ist selbst Sammler von Druckgrafiken und Zeichnungen seiner Vorbilder. Arbeiten von Schiele, Balthus, Watteau, Dix, Klimt, Kollwitz und Rembrandt sind zurzeit in seinem kleinen Showroom namens Yuan Space in einem Pekinger Hochhaus zu sehen. «Hier zeige ich seit 2012 Papierarbeiten von Künstlern, die mich selbst als Studenten beeinflusst haben. Früher habe ich die Werke nur als unscharfe Abbildungen in Katalogen gesehen. Die Originale möchte ich nun den heutigen Studenten in ihrer Schönheit und Grösse zeigen.»

Yuan bedeutet im Chinesischen der Ursprung, die Quelle aller Dinge. Zeng kehrt auf dem Höhepunkt seiner Karriere zum eigenen Anfang zurück. Und Zeng hat grössere Pläne. Seine private Kunsthalle befindet sich bereits im Bau, konzipiert vom japanischen Stararchitekten Tadao Ando. Zeng schwebt etwas Ähnliches vor wie die Fondation Beyeler in Basel, die er 1998 zum ersten Mal besuchte. Er war so angetan von Konzept und Qualität, dass er sich Vergleichbares in China ersehnte. «Neun Jahre lang habe ich einflussreiche Kunstleute aus China in die Fondation Beyeler geschleppt. Kunstliebhaber und erfolgreiche Unternehmer, alle waren beeindruckt, aber keiner wollte Geld für so etwas geben.»

Erst 2009, inzwischen selber reich geworden, kam Zeng der Gedanke, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Aus eigener Tasche finanziert er 8000 Quadratmeter Ausstellungsfläche, über sechs Etagen verteilt, mit einer grossen Bibliothek, einer permanenten Sammlung, einer Fläche für Wechselausstellungen, Artist-in-Residence-Wohneinheiten, Museumsshop und weitläufigem Garten zur Kontemplation. Alles ist bis ins kleinste Detail durchdacht, vom Schrift-Font bis zum Türgriff. Im Frühjahr 2017 soll eröffnet werden. Zeng fühlt sich gesegnet und möchte der Öffentlichkeit etwas zurückgeben.

Dieser Mix aus Bescheidenheit und Überhöhung, aus Bodenständigkeit und Hingabe, aus Disziplin und Empathie macht diesen Menschen authentisch und seine Kunst relevant.

NZZ 2015

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