Heinrich Heine über China

Unter den Deutschen des vor-vorigen Jahrhunderts gab es etliche, die über China eine Meinung hatten, die bis heute nicht ganz uninteressant ist. Einer war Heinrich Heine (1797 – 1856), der dies ausgerechnet in seine berühmte Schrift Über Deutschland einfügte.

Hier ist die Passage:

Kennt ihr China, das Vaterland der geflügelten Drachen und der porzellanenen Theekannen? Das ganze Land ist ein Raritätenkabinett, umgeben von einer unmenschlich langen Mauer und hunderttausend tartarischen Schildwachen. Aber die Vögel und Gedanken der europäischen Gelehrten fliegen darüber, und wenn sie sich dort sattsam umgesehen und wieder heimkehren, erzählen sie uns die köstlichsten Dinge von dem kuriosen Land und kuriosen Volke. Die Natur mit ihren grellen verschnörkelten Erscheinungen, abenteuerlichen Riesenblumen, Zwergbäumen, verschnitzelten Bergen, barock wollustigen Früchten, aberwitzig geputzten Vögeln, ist dort eine eben so fabelhafte Karikatur wie der Mensch mit seinem spitzigen Zopfkopf, seinen Bücklingen, langen Nägeln, altklugem Wesen und kindisch einsilbiger Sprache. Mensch und Natur können dort einander nicht ohne innere Lachlust ansehen. Sie lachen aber nicht laut, weil sie beide viel zu civilisiert höflich sind; und um das Lachen zu unterdrücken, schneiden sie die ernsthaft possierlichsten Gesichter. Es giebt dort weder Schatten noch Perspektive. Auf den buntscheckigen Häusern heben sich, über einander gestapelt, eine Menge Dächer, die wie aufgespannte Regenschirme aussehen, und woran lauter metallne Glöckchen hängen, so daß sogar der Wind, wenn er vorbeistreift, durch ein närrisches Geklingel sich lächerlich machen muß.

In einem solchen Glockenhause wohnte einst eine Prinzessin, deren Füßchen noch kleiner waren als die der übrigen Chinesinnen, deren kleine schräg-geschlitzte Äuglein noch süßträumerischer zwinkten als die der kleinen Damen des himmlischen Reiches, und in derem kleinen kichernden Herzen die allertollsten Launen nisteten. Es war nämlich ihre höchste Wonne, wenn sie kostbare Seiden- und Goldstoffe zerreißen konnte. Wenn Das recht knisterte und krackte unter ihren zerreißenden Fingern, dann jauchzte sie vor Entzücken. Als sie aber endlich ihr ganzes Vermögen an solcher Liebhaberei verschwendet, als sie all ihr Hab und Gut zerrisssen hatte, ward sie auf Anrathen sämmtlicher Mandarine als eine unheilbare Wahnsinnige in einen runden Thurm eingesperrt.

Diese chinesische Prinzessin, die personifizierte Kaprice, ist zugleich die personifizierte Muse eines deutschen Dichters, der in einer Geschichte der romantischen Poesie nicht unerwähnt bleiben darf. Es ist die Muse, die uns aus den Poesien des Herrn Clemens Brentano so wahnsinnig entgegenlacht.

(Heinrich Heine, Über Deutschland, Erster Theil, Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland, Hamburg, 1876, S. 185-187)


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