Die erstaunliche Ms. Cao Fei – Avatar und Videokunst

Cao Fei: Liebe deinen Avatar

Aufgewachsen in einer von rasanten gesellschaftlichen Umbrüchen geprägten Region Chinas, verbindet Cao Fei in ihren Videos und Installationen die Einflüsse einer globalen Post-Popkultur mit traditionellen Elementen der Oper oder des Theaters.

Dabei überlagern sich Realität und Fiktion, Geschichte und Gegenwart. Für ihre jüngsten Projekte in der Internetplattform Second Life hat Cao Fei eine virtuelle Stadt kreiert und geht mit ihrem Avatar China Tracy auf Partnersuche. Bald wird sie im Rahmen der Ausstellung „Utopia Matters“ eine Videoarbeit präsentieren. Matthew Evans stellt Fei und ihre Arbeiten aus der Sammlung Deutsche Bank vor.

Als der britische Autor und Höfling Sir Philip Sidney im 16. Jahrhundert feststellte, die Imagination der Dichter sei „nicht vollkommene Einbildung, da wir ja auch gewöhnlich über sie sagen, dass sie Schlösser in die Luft bauen“, schuf er nicht nur das bis heute populäre Sprichwort vom „Luftschloss„. Er hob neben der Kraft der Fiktion auch deren Schwäche hervor: Wenn unsere Fantasien greifbare Form annehmen, können sie tatsächlich etwas Majestätisches hervorbringen. Doch dabei sind sie niemals „vollkommen“. Sie können in der realen Welt nur einen Abglanz der imaginären Pracht geben. Genau diese Bruchstelle zwischen Einbildungskraft und Wirklichkeit bildet den passenden Einstieg in das Werk von Cao Fei.

Denn die in Peking beheimatete Multi-Media-Künstlerin beschäftigt sich ebenso mit der Welt, in der wir leben wie mit einer anderen, imaginierten Welt. Und diese ist zugleich ein Spiegelbild der Realität, denn sie ist auch von geschichtlichen Brüchen und Wirren und unserer eigenen, labilen emotionalen Verfassung geprägt. Für ihre jüngste Arbeit RMB City (2007-2009) gründete sie eine virtuelle Stadt in der Parallelwelt der Internetplattform Second Life und benannte sie nach der Abkürzung für die chinesische Währung Renminbi. RMB City ist eine wahnwitzige Kombination aus unterschiedlichen, ikonischen Architekturen der Volksrepublik: Der Tiananmen-Platz wird von den gestauten Wassermassen des Three-Gorges-Damms überflutet, der von Rem Koolhaas erbaute CCTV Tower baumelt kläglich von einem Kran. Das Ganze erinnert an die apokalyptischen Post-Punk-Inszenierungen der Mad-Max-Filme, nur dass in diese urbane Landschaft auch ziemlich lustige Ready-Mades eingebaut wurden.

Wo in New York das Chrysler Building oder in London Norman Fosters 30 St Mary Axe als höchste Gebäude die Skyline prägen, ist es in RMB City ein riesiger schwebender Panda.

Basierend auf der dramatischen Form des Yan Ban Xi, das während der Kulturrevolution die chinesische Oper ersetzte, ist RMB City eine Mischung aus Propaganda, Theater, Ballett und 3D-Animation, die ein randvolles Leben der Extreme verspricht, das dennoch nicht die eigene ist.

Wie das aussieht, zeigen Cao Feis Arbeiten aus der Sammlung Deutsche Bank: So führt ihr virtuelles Alter Ego aus der Serie RMB City: The Fashions of China Tracy immer wieder neue Designermode von Avantgarde-Stars wie etwa Martin Margiela oder Hussein Chalayan in den surrealen Stadtlandschaften vor.

Während Feis fantastische Zukunftszivilisation eindeutig von den utopischen Versprechen des Internets geprägt ist, funktioniert sie nach ganz weltlichen ökonomischen Vorgaben: Die Stadtbewohner sind zwar nur Avatare oder Alter Egos der Second-Life-Spieler, doch die unwirklichen Gebäude und Grundstücke werden für ganz reales Geld verkauft.

Das ist der wirtschaftliche Kniff bei allen Second-Life-Bauvorhaben und nur einer der vielen „Reality Checks“ die Fei in ihre atemberaubenden und erfindungsreichen Projekte einbaut.

Cao Fei ist Schlüsselfigur für eine Generation, deren Kultur im postkommunistischen China nach 1989 zwangsläufig von den Widersprüchen des rasanten finanziellen und urbanen Wachstums geprägt ist.

Als Tochter eines „offiziellen“ Staatskünstlers 1978 in der Großstadt Guangzhou geboren, wuchs sie im südchinesischen Pearl River Delta auf – das zum Schauplatz einer der weltweit größten städtischen Ausdehnungen und fieberhafter, amphetamingetriebener industrieller Ansiedlung geworden ist. Geschichtlich handelt es sich hier zugleich um eine der offensten Regionen Chinas, einen Umschlagsplatz für den Handel mit dem Westen. Guangzhou, früher Kanton genannt, war einst das Epizentrum der Opiumkriege. Zu den Nachbarn zählen das westlich geprägte Macao und die Freihandelszone Hongkong.

Der chinesische Kurator Hou Hanru nannte die Stadt „eine Art alternativen Bezirk im chinesischen Riesenreich, der ständig die Rolle eines Doppelagenten spielt, der die nationale Sache gleichzeitig verrät und vorantreibt.

“ In dieser hybriden, widersprüchlichen Kultur Guangzhous eignete sich Fei die nötige Flexibilität an, um in einer Umgebung heranzuwachsen und zu kommunizieren, in der die Möglichkeit einer anderen ökonomischen Realität Heilsversprechung und Fluch zugleich ist. Die Entfremdung, die diese Situation erzeugt, ist nicht nur für Südchina bezeichnend, sondern, wie es Fei einmal ausdrückte, für „den bedrängenden und realen Effekt, den die Globalisierung auf alle Schwellenländer ausübt.“

Diese Dringlichkeit würde in Cao Feis Arbeit sicher nicht so nachwirken, wenn sie lediglich die groben Übertreibungen und Widersprüche ihrer Kultur vermitteln würde: kommunistisch und kapitalistisch, nationalisiert und globalisiert, ökonomische Hochburg und verarmtes Ödland.

Es ist eher Feis Interesse daran, wie sich die Identität, die in ihrem Werk auf eigenwillige Weise zum Ausdruck kommt, unter diesen kulturellen Rahmenbedingungen beständig verändert – in roher Direktheit oder auch mit verspieltem Witz.

Feis 2005 entstandene Videoarbeit Father ist ein ausgesprochen biographisches Beispiel für diese Vorgehensweise. Im Dezember 2004 wurde Feis Vater Cao Fhong’en, der nach ihren eigenen Worten ein „alter offizieller Bildhauer ist, der über viele Jahre im Stil des sozialistischen Realismus arbeitete“, damit beauftragt, eine sechs Meter hohe Bronze des verstorben Deng Xiaoping anzufertigen, der als Reformer und führender Politiker der kommunistischen Partei China den Weg zur globalen Marktwirtschaft ebnete. „Es ist in China traditionelle Einstellung“, erläuterte Fei, „dass der Sohn das Geschäft des Vaters übernimmt… Wie dem auch sei, für mich kam diese Idee nie in Frage.“

Als kathartisches Zeugnis der Abkehr ihrer Generation von traditionellen Medien und der staatstragenden Kunst der Vorväter dokumentiert Feis Video die Arbeit ihres Vaters an der Bronzeskulptur. Eine Szene zeigt einen Staatsvertreter, der Fhong’en erklärt: „Deine Arbeit gehört nicht nur dir, sondern der Welt.“ Feis Vater bricht in Lachen aus. Man fragt sich, ob dies nun ein unbeholfener Ausdruck von Dankbarkeit ist, oder eher das hysterische Eingeständnis, dass der Staatsvertreter unrecht hat – vielleicht würde er weniger falsch liegen, wenn er dieselben Worte an Fei richten würde, die hinter der Kamera steht.

Fei erläuterte einst zu ihrer Arbeit, dass sie die eigene Geschichte der Geschichte ihrer Nation gegenüberstellt: „Die Suche nach Geschichte ist die Suche nach sich selbst und nach Antworten auf unzeitgemäße Fragen.“

Ein Großteil von Feis Arbeit wird als kennzeichnend für Chinas „neue mediale und mobile Generation“ betrachtet und verweist laut Kurator Hou Hanru aufgrund des Hangs zu digitaler Technologie auf den „neuen neuen Menschen“. Dennoch ist die Künstlerin auch in die Vergangenheit vertieft. So fragte sie einmal: „Wenn die Bitternisse des Lebens in der Erinnerung verblassen können, wie schwierig wäre es für Glück und Freude das Gleiche zu tun?“

Es scheint, als ob Fei nur durch solche Projekte wie Father, die versuchen die Geschichte zu verstehen, die gegenwärtigen Verhältnisse so kritisch in Augenschein nehmen kann. Wie es der Kurator und unermüdliche Interviewer Hans Ulrich Obrist hervorgehoben hat, gehört Fei, wie auch Yang Fudong oder Kan Xuan, zu einer Generation, „die zwar von der Bandbreite der Medien beeinflusst ist, die chinesische Künstler im Exil wie etwa Huang Yong Ping und Chen Zhen in Paris oder Cai Guo-Qiang in New York nutzen, sich selbst aber entschlossen hat, in der Heimat zu bleiben…“. Insofern ist Feis Sicht auf China und seine wachsenden Probleme durch keine Außenperspektive gefiltert und hält so landestypische Eigenheiten ganz unmittelbar fest. Ihr 2004 entstandenes Video COSplayers stellt junge Chinesen vor, die fanatische Fans ausländischer Videospiele sind. Sie verkleiden sich als ihre Lieblingsfiguren und stellen die Fantasiehandlungen der Spiele in ganz profanen städtischen Umgebungen nach. In zahlreichen Begegnungen bilden der Film und die dazugehörige Fotoserie die kostümierten Jugendlichen und ihre beiden Welten ab – die unheimliche Fantasiewelt ebenso wie ihr in Wirklichkeit einsames Dasein zuhause. Er zeichnet dabei ein außergewöhnliches und zugleich völlig nachvollziehbares Bild der schizophrenen Existenz zwischen Entertainment und Realität, fiktivem Heldentum und Entfremdung.

Cao Feis Videos greifen in die Realität ein und funktionieren deshalb auch wie Dokumentarfilme. 2006 wurde sie eingeladen, einen abendfüllenden Film über Yunnan, die südchinesische Region westlich von Guangdong zu drehen, doch aus verschiedenen Gründen kam er nie zustande. Stattdessen drehte sie 2007 Nujiang River Project, eine Zusammenstellung von Foto- und Videomaterial, die ihre Pilgerreise mit zwei Freunden durch die bergige Provinz und ihre naiv anmutenden Begegnungen mit der einheimischen Bevölkerung dokumentierte. Sie spielten Basketball mit Kindern, unterhielten sich mit Wanderern über Außerirdische, lernten wie man Mädchen aufreißt, und versuchten durch kleine, etwas absurde Gesten Vertrautheit mit der lokalen Kultur zu entwickeln.

Für ihr Video Whose Utopia? (2006) arbeitete Fei für ein halbes Jahr in einer Fabrik in Foshan, die Glühbirnen für Osram herstellte. Währenddessen suchte sie die Auseinandersetzung mit den Arbeitern und rief Workshops ins Leben, in denen sie sie aufforderte, sich über ihre ganz eigenen utopischen Vorstellungen mitzuteilen. Ein Bild zeigt eine Ballerina mit wehendem Kleid, die ihre Pirouetten zwischen endlosen Reihen von gigantischen Regalen in einer Lagerhalle dreht. Ein anderes einen Jungen, der neben Gasflaschen eine Gitarre hin und her schwingt. Indem für kurze Momente ungebändigte Imagination und eine neue, angeeignete Individualität aufblitzen, verlieren die Charaktere ihre Anonymität – in einer Arbeitswelt und Kultur, die nichts anderes als Anonymität verheißen. Immer wieder taucht die Frage auf: „Was machst du eigentlich hier?“

Vielleicht ist dies auch genau die Frage, die Cao Feis Arbeit antreibt und sie nicht zuletzt veranlasst hat, sich von der industriellen Arbeitswelt in die virtuellen Reiche von Second Life zu verabschieden.

Fei entdeckte diese Parallelwelt im Internet 2006 und hat dabei ihre unermüdliche Suche nach neuen Möglichkeiten für die ästhetische Produktion noch nicht abgeschlossen. „Ich mag diese sich organisch entwickelnde Theatralik von Second Life, die man gar nicht erst inszenieren muss“, erläutert Fei, „Aus diesem Grund habe ich auch das Gefühl, dass diese Arbeit den Befindlichkeiten wirklicher Dokumentation näherkommt.“ Feis erstes Second-Life-Projekt war iMirror (2006-2007), in dem sie ihre virtuellen Erfahrungen als Avatar „China Tracy“ dokumentierte.

Es ist ein dreiteiliger, 28-minütiger Film über ihre romantische Begegnung mit „Hug Yue“, einem anderen Avatar, dessen tatsächliche Identität ein etwa 60-jähriger verheirateter Mann aus San Francisco ist.

Der Dialog, der sich dabei entspinnt, ist ironischerweise zugleich herzlos und romantisch.

Vor dem Hintergrund der halluzinogenen Architektur des Second-Life-Labyrinths erscheint das Werk wie ein hoch digitalisiertes Update der Arbeiten amerikanischer Pop- und Konzeptkünstler wie Jenny Holzer oder Ed Ruscha. So funktionieren Holzers über elektrischen Leuchtbänder flackernde Truisms als Scheinwahrheiten, Ed Ruschas einsame Tankstellen und Wortarbeiten zeigen die Ambivalenz der Warenlandschaft des „American Way of Life“. In einer ähnlichen Manier des „Pop-Swindle“ verdeutlicht die Suche nach Gesellschaft und Liebe in iMirror die grassierende Entfremdung in der realen Welt.

Der utopische Ansatz von Second Life, alternative Formen und Umgebungen des Zusammenlebens zu entwickeln, landet schlagartig wieder in der Ödnis der Gegenwart.

So äußerte der Kunstkritiker Hu Fang zu iMirror: „Vielleicht ist dies nicht die Zeit, um eine Ästhetik für eine vorausgeahnte Zukunft zu entwickeln, da wir noch nicht einmal die Gegenwart vorhersagen können.“

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