Wieder Weltreich in der Mitte. China.

Der Kalte Krieg ist Geschichte – Russland schlägt um sich wie ein verwundeter Braunbär.                                                    Als globaler Sicherheitspartner ist China längst aus der Rolle eines Billiglieferanten hinausgewachsen.

Es war bei einer jener selten gewordenen Ost-West-Konferenzen, die dieser Tage noch immer und doch mit steigender Verzweiflung nach Wegen, Medien und Formaten der Verständigung suchen.

Da sagte ein erfahrener amerikanischer Diplomat, lange Jahre Vertreter der westlichen Führungsmacht im Nato-Rat in Brüssel, er habe in einem halben Jahrhundert nicht so große Sorge vor Krieg zwischen den nuklearen Weltmächten gehabt wie in der Gegenwart. Niemand widersprach.

Unordnung ist Signatur der Epoche, damit Unberechenbarkeit, Eskalation der Konflikte, Lautsprecher-Diplomatie bei wachsender Rat- und Hilflosigkeit in den Korridoren der Macht, multipolarer Poker statt bipolares Schach.

Die bewährten diplomatischen Künste der strategischen Geduld, der Diskretion, der List, der Nebengeschäfte und der unausgesprochenen Verständigungen sind nahezu verloren.

Nur manchmal scheinen sie noch auf, wenn die Weltmächte einer gestrandeten Weltraummission der anderen Seite aushelfen, wie jetzt, oder wenn es darum geht, dem Iran und dem nuklearen Streben der Ajatollahs durch Sanktionen und Kontrollen Grenzen zu setzen.

Der Kalte Krieg hatte eine Art von Ordnung, und sie war global, nuklear und bipolar. Sie war das Ergebnis existenzieller Krisen und knapp vermiedener Katastrophen. Seit den frühen 60er-Jahren entstand ein in Verträgen über Rüstungskontrolle, durch Abstandswahrung und respektvolle Umgangsformen verfestigtes Kartell zur Sicherung des Status quo.

Es trennte und verband zugleich gänzlich ungleiche, einander unversöhnlich entgegenstehende Machtgebilde.

Die drohende Präsenz nuklearer Waffen forderte indessen unerbittlich Disziplin, Selbstbeschränkung und anhaltende Vorsicht im Umgang miteinander, bei Strafe des Untergangs, auf der einen Seite das sowjetische Landimperium und auf der anderen Seite die amerikanische Seeallianz. So entstand jener lange nukleare Frieden, der am Ende noch den Untergang der Sowjetunion und ihres russischen Riesenreiches in einigermaßen friedlichen Bahnen hielt. Staatskunst mit Führungsqualitäten und zugleich Behutsamkeit waren am Werk – aber nicht auf immer.

Bankrott der Sowjetmacht – der verwundete Bär

Allerdings hielt der Westen, angeführt von den Vereinigten Staaten und verführt durch das „End of History“-Syndrom, den Abschied der moskowitischen Macht von der Weltbühne für das letzte Wort der Geschichte. Russlands Machteliten beschrieben ihre Lage nach dem Bankrott der Sowjetmacht in den Begriffen „Weimar“ und „Versailles“.

War das nicht deutlich genug, um Vorsicht anzuraten im Umgang mit dem verwundeten Bären, dessen Reich immer noch elf Zeitzonen umfasste, nahezu zehntausend nukleare Gefechtsköpfe und beinahe unbegrenzte Rohstoffe jeder Art?

Geschichtskundige Diplomaten und Militärs im Westen hätten gewarnt sein können. Aber es fehlte den Nachfolgern der Kennans und Kissingers in Washington mehr und mehr an geschichtlicher Erinnerung. Russland nicht mehr als eine Regionalmacht, wie Präsident Obama einmal wegwerfend sagte? Nichts als eine Tankstelle, die behauptet, ein Staat zu sein?

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Netzfreiheit

Datenschützer wollen mit China-Video aufrütteln

So der mächtige Vorsitzende des Streitkräfte-Ausschusses im amerikanischen Senat, der republikanische Senator John McCain. Gesichtswahrung für die Gegenseite, Selbstdisziplin auf dem eigenen Ufer und die alte, über lange Zeiten praktizierte Kameraderie der strategischen und konventionellen Rüstungskontrolle – das alles geriet im Lauf der vergangenen zwei Jahrzehnte in Vergessenheit.

Heute von einem in sich stimmigen, logischen und auf umfassendem Gleichgewicht beruhenden System zu sprechen, wäre Euphemismus und Selbsttäuschung. Die Ursache ist nicht nur in Putins Strategie zu sehen, die russischen Seelen zu sammeln und das Erbe der Zaren und der Kommissare anzutreten, zu Hause und im „Nahen Ausland“. Putin will auf Augenhöhe mit den Amerikanern verhandeln, er will gefragt werden, wie es über das Kosovo und den Irak gerade nicht geschah, und er will nicht mehr Verwalter des sowjetischen Trümmerfelds sein, sondern Chef der anderen Weltmacht.

Krim-Annektion stärkte das System Putin

Als Russlands Panzer Südossetien und Abchasien okkupierten, beließ es Amerika bei papierenen Protesten. Die Krim aber? Bis heute hat der Westen schlecht verstanden, dass es nicht um militärischen Gewinn ging. Der Schwarzmeer-Kriegshafen Sewastopol war militärisch und vertraglich fest in russischer Hand, es wurden ordentliche Pachtgebühren entrichtet, und niemand konnte sich vorstellen, dass eines Tages Kiew ein Kündigungsschreiben senden und durchsetzen könnte.

Die Krim-Vereinnahmung verschaffte den Russen, was sie ohnehin hatten, nämlich den Schwarzmeer-Kriegshafen Sewastopol. Es ging um Symbolpolitik mit dem Ziel, der Ukraine den außenpolitischen Spielraum Richtung Westen zu nehmen und daran zu erinnern, dass Russland noch Erbansprüche aus den Zeiten der Zaren und der Kommissare geltend machen kann. Die wirtschaftlichen und politischen Kosten waren wahrscheinlich eingepreist. Konflikt mit dem Westen, wenn er denn kontrollierbar ist, stärkt, wie die Umfragen erweisen, das System Putin.

Der Henkel-Vorstandsvorsitzende Kasper Rorsted bei der Hauptversammlung des Unternehmens.
Wachstumsflaute in China

Henkel vertraut weiter in chinesischen Markt

Mittlerweile aber mischt sich mehr und mehr der Chinafaktor in die Weltpolitik. Es war die bleibende Errungenschaft von US-Präsident Richard Nixon, dessen außenpolitische Meisterschaft sehr viel größer war als seine moralische, und seines Sicherheitsberaters Henry Kissinger, zu Beginn der 70er-Jahre Mao Tse-tungs China als eigenständigen Machtfaktur ins Große Spiel zu holen und die weltpolitischen Gleichgewichte neu zu tarieren.

Zunächst ging es vor allem darum, den Vereinigten Staaten einen geregelten Abzug aus dem vietnamesischen Reisfeld zu erlauben. Danach aber verschob sich das wirtschaftliche Schwergewicht der Welt mehr und mehr vom Atlantik zum Pazifik, nicht anders die militärischen Potenziale. China will wieder Reich der Mitte sein.

Als Europa mit den Aufräumungsarbeiten des Kalten Krieges beschäftigt war, erschien China noch als billiger Lieferant. Das ist vorbei. China ist nach Russland die andere Weltmacht, die den Status quo verändern will: Durch Inselbesetzungen im Südchinesischen Meer, Hochrüstung gegen Taiwan, Hightech und Marineaufbau gegen die USA.

Das Reich der Mitte pocht auf sein Erbe, seine Diplomaten genießen die neue Lage: „Wir sind jetzt mächtig“ – sagen sie ohne Umschweife und wollen dafür etwas haben. Was genau, wird in Peking entschieden: nicht in Washington, aber auch nicht in Moskau.

Ein neuer Kalter Krieg? Vor irreführenden Vergleichen soll man sich hüten.

Von Michael Stürmer Die Welt

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