Montagsklischee: «Asiaten sehen alle gleich aus»

Montagsklischee
«Asiaten sehen alle gleich aus»

Für Europäer ist es schwer, Chinesen, Japaner und Koreaner zu unterscheiden. Asiaten dagegen finden, Europäer sähen alle ähnlich aus. Der Psychologe Jürgen Kaufmann erklärt den Grund.

Herr Kaufmann, für uns Europäer sehen Asiaten alle gleich aus, Koreaner und Japaner kann man schwer unterscheiden. Geht es den Asiaten mit uns genauso?

Ja. Dieser Effekt wurde bei verschiedenen Gruppen wie Europäern, Asiaten und Afrikanern jeweils in beide Richtungen nachgewiesen. Er scheint allerdings bei europäischen Probanden etwas stärker ausgeprägt zu sein, was aber vermutlich darauf zurückzuführen ist, dass Asiaten etwa über Filme häufiger «Kontakt» zu europäischen Gesichtern haben als umgekehrt.

Die Erfahrung mit Vertretern der anderen Gruppe ist ein sehr wichtiger Faktor. Menschen, die viel und nicht nur oberflächlichen Kontakt zur anderen Gruppe haben, finden nicht, dass etwa Personen aus Asien gleich aussehen. Von praktischer Relevanz – zum Beispiel bei Zeugenaussagen – ist vor allem, dass insbesondere die «falschen Entscheidungssignale» für Gesichter aus anderen Gruppen stark ansteigen. Ausserhalb des Labors heisst das, dass das Risiko, einen Unschuldigen mit dem Täter zu verwechseln, für fremde Gruppen noch höher ist als für die eigene.

Auf welche Merkmale achten wir denn, wenn wir einen Menschen anschauen oder versuchen, ihn zu erkennen?

Es gibt sowohl einen wahrnehmungspsychologischen als auch einen sozialpsychologischen Erklärungsansatz. Unsere Forschung zur Personenerkennung legt nahe, dass der erstgenannte die wichtigere Rolle spielt. Er besagt, dass Gesichter anderer ethnischer Gruppen nicht so gut differenziert werden, weil die visuellen Unterscheidungsmerkmale für europäische und asiatische Gesichter andere sind. Menschen lernen im Laufe ihrer Entwicklung, mittels welcher Merkmale sie verschiedene Gesichter auseinanderhalten können und mittels welcher eher nicht.

Eine einflussreiche Idee war dabei, dass sich im Verlauf dieses Lernens eine Art mehrdimensionaler Gesichterraum im Gehirn der Menschen bildet, in dem jede Dimension ein Erkennungszeichen darstellt, welches zur Unterscheidung von Gesichteridentitäten nützlich ist. Für Gesichter anderer Ethnien passt also das Gelernte nicht.

Und wie lautet der sozialpsychologische Ansatz?

Der eher sozialpsychologische Ansatz geht ganz grob davon aus, dass Gesichter anderer Ethnien anhand bestimmter, schnell erkennbarer Eigenschaften (z. B. der Hautfarbe oder der Form der Augen) als Vertreter einer «out-group» kategorisiert werden. Das habe zur Folge, dass spätere nötige Erkennungsprozesse abgebrochen würden.

Auf welche Merkmale achten denn Menschen aus Asien? Oder aus anderen Kontinenten?

Es gibt einige Studien, welche die Blickbewegungen beim Betrachten von Gesichtern untersucht haben. Laut dieser Studien fixieren westliche Betrachter zunächst vor allem die Augen und den Mund, während Asiaten eher den Bereich zwischen den Augen fixieren. Das heisst aber natürlich nicht unbedingt, dass jeweils andere Eigenschaften nicht zur Erkennung verwendet würden, weil ja auch Merkmale in der nahen Umgebung des Punktes wahrgenommen werden. Welche Merkmale genutzt werden, hängt auch von der Bekanntheit eines Gesichts ab.

Welche Rolle spielen die Augen, Ohren, der Mund oder etwa die Haare?

Egal woher Menschen kommen, nutzen sie sowohl Merkmale der Form, als auch der Textur oder Oberflächenreflexion zur Erkennung von Gesichtern.

Zur Form gehören die äussere Form des Gesichts, die dreidimensionale Struktur, die Form einzelner Merkmale wie Augen, Nase und Ohren, aber auch deren räumliches Verhältnis zueinander. Zur Textur zählen etwa Farbe und Reinheit der Haut, Verteilung von Licht und Schatten, Bart und Augenfarbe. Generell kann man sagen, dass Menschen mehr oder weniger automatisch versuchen, alle verfügbaren Merkmale zu nutzen. Insbesondere bei unbekannten Gesichtern sind diejenigen interessant, die sich von der Norm (die auf der eigenen Gruppe basiert) unterscheiden. Europäer variieren z. B. stärker bei der Augen- und der Haarfarbe als Asiaten. Beim Lernen von Gesichtern gibt es ausserdem eine Verschiebung der Relevanz äusserer – wie z. B. Ohren, Kopfform und Frisur – und innerer Attribute wie etwa Augen, Nase, Mund. Bei unbekannten Gesichtern sind die innen liegenden Merkmale verhältnismässig schlechter repräsentiert, und wir verlassen uns stärker auf die äusseren.

Was bedeutet das?

Damit lässt sich erklären, warum wir eine nur flüchtig bekannte Person manchmal nicht wiedererkennen, wenn sie eine neue Frisur oder eine neue Haarfarbe hat. Bei bekannten Gesichtern passiert das in der Regel nicht. Interessant ist auch: Wir können ein bekanntes Gesicht etwas schneller erkennen, wenn es einen für diese Person typischen Gesichtsausdruck zeigt. Und das, obwohl die Erkennung der Identität relativ unabhängig von der gezeigten Emotion funktioniert.

Welche Rolle spielt die Stimme?

Bei Stimmen wurde gelegentlich etwas Ähnliches wie der «own-race bias» angeführt, aber im Gegensatz zu Gesichtern bezieht er sich hier weniger auf körperliche als auf erlernte Merkmale, wie etwa den Akzent. Unbekannte Stimmen, die den Dialekt des Zuhörers sprechen, werden etwas besser wiedererkannt und individualisiert als bekannte Stimmen mit fremdem Dialekt. Wie gesagt, ist das aber unabhängig von körperlichen Merkmalen. Wenn also eine asiatisch aussehende Person perfekt Schweizerdeutsch spricht, sollte deren Stimme von Schweizer Dialektsprechern besser wiedererkannt werden, als die eines Schweizers, der hochdeutsch spricht. Zu diesem Phänomen gibt es aber deutlich weniger Forschungsarbeiten, als zum «own-race bias» bei Gesichtern. Insgesamt spielt die Stimme beim Erkennen bekannter Personen eine nicht unerhebliche Rolle, vermutlich auch deshalb, weil wir im Alltag meist Stimme und Gesicht gemeinsam erleben.

Kann man eigentlich lernen, sich Gesichter besser zu merken?

Die Fähigkeit scheint laut Studien – zumindest ohne Intervention – ab dem frühen Erwachsenenalter ein Leben lang weitgehend konstant zu sein. Eine Verbesserung über die Zeit ist zumindest nicht ausgeschlossen. Es gibt individuell grosse Unterschiede: Während die einen quasi niemals ein Gesicht vergessen, das sie mal gesehen haben, verwechseln andere im Extremfall gar die Gesichter von Familienmitgliedern. Wir arbeiten gerade daran, zu untersuchen, ob schlechte Gesichtserkenner von einer bestimmten Art des Trainings dauerhaft profitieren können. Es gibt zu diesem spannenden Thema noch viel Forschungsbedarf.

Dr. Jürgen Kaufmann ist Psychologe und forscht und lehrt an der Universität Jena. Unter anderem arbeitet er am interdisziplinären Forschungsprojekt «Person Perception» mit.

von Interview: Alexandra Kohler

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert